Nach der langen, strapaziösen Reise erreicht Jill endlich ihr Ziel: das Meer am Timmendorfer Strand. Doch etwas hält sie zurück. Erst als sie den mysteriösen Gegenstand entdeckt, den Frieda ihr heimlich hinterlassen hat, fühlt sich Jill bereit, den letzten und größten Schritt zu wagen. Am Rande des Meeres, wo Himmel und Wasser aufeinandertreffen, muss Jill all ihren Mut zusammennehmen – und alles für ein neues Leben riskieren.
Write our own Story - Gemeinsam mit unserer Community schreiben wir in fünf Wochen fünf Kapitel, die durch eure Abstimmungen bei Instagram entstehen. Begleite Jill auf ihrer Reise zu sich selbst und lass dich von ihrer Geschichte inspirieren.
Kapitel 5 - Leuchten
Jill hatte es geschafft.
Sie stellte den Motor ab, schaltete das Radio aus, dessen Musik sie die letzte Stunde über begleitete hatte, und holte tief Luft. Sie hatte es geschafft. Sie war tatsächlich in Timmendorfer Strand.
Die Sonne stand hoch am Himmel, das strahlend gelbe Licht spiegelte sich auf den Autodächern, die sich in ihrem Blickfeld befanden. Jill hatte ihren Golf auf einem Parkplatz geparkt, von dem aus sie bereits das tiefe Blau des Meeres sehen konnte.
Nun lag sie wahrhaftig vor ihr: die Ostsee. Ihr Ziel, auf dessen Weg so viele Herausforderungen gelegen hatten. Äußere wie auch innerliche. Der Sturm, der sie heute Nacht in der Raststätte festgehalten hatte, war längst verschwunden und hatte eine seltsame Ruhe in Jill hinterlassen.
Ein Moment des Friedens, bevor sie ihre Reise zu Ende brachte.
Zu Ende. Jill hielt inne. Sollte das hier wirklich schon das Ende sein? Sie hatte ihr Ziel erreicht, hatte die etlichen Kilometer aus der Großstadt hierher zurückgelegt, und doch fühlte sie noch nicht die Erfüllung, die sie sich erhofft hatte. Sie spürte wieder diese Angst, die sie schon mehrere Male auf ihrer Reise zweifelnd zurückgehalten hatte. Dieser Schritt, so kurz vor ihrem Ziel, war tatsächlich der schwerste.
Nervös stieg Jill aus dem Auto, streckte sich und atmete tief die frische Meeresluft ein. Der salzige Duft des Meeres legte sich auf ihre Zunge, während eine leichte Brise durch ihre Haare wehte.
Sie kramte auf dem Rücksitz nach einer leichten Jacke und warf sie sich über. Erschöpft steckte sie ihre Hände in die Jackentaschen, als sie plötzlich etwas Festes darin ertastete. Sie hörte es rascheln und zog das Papier neugierig heraus. Ein kleiner, hellbrauner Umschlag, leicht zerknittert und etwas nass. Verwirrt drehte sie ihn in ihren Händen und erkannte Friedas geschwungene Handschrift auf der Vorderseite: „Für Jill“.
Jills Herz machte einen Sprung. Ihre Finger zitterten leicht, als sie den Umschlag öffnete und den sorgfältig gefalteten Brief herauszog. Sie konnte es kaum glauben, dass Frieda ihr diesen Brief hinterlassen hatte, ohne ein Wort darüber zu verlieren. Mit klopfendem Herzen klappte sie das Papier auf und begann zu lesen:
„Liebe Jill,
wenn du diesen Brief liest, bist du hoffentlich dort angekommen, wo du schon immer hin wolltest: an den Ort, an dem du Frieden findest und den Mut hast, deine Träume zu leben. Ich wusste, dass diese Reise für dich mehr ist als nur eine Flucht vor dem Alltag. Sie ist der Anfang von etwas Neuem, und ich bin so stolz auf dich, dass du diesen Schritt gewagt hast.
Es tut mir leid, dass ich dich nicht weiter begleitet habe, aber ich wusste, dass dieser Teil der Reise allein dein Weg sein musste. Manchmal braucht man den Mut, allein zu gehen, um herauszufinden, wer man wirklich ist. Du hast in dir so viel Stärke, so viel Leidenschaft, und ich wollte dich nicht davon abhalten, sie zu entdecken. Ich wusste, dass du das kannst, Jill.
Die Zeit, die wir zusammen verbracht haben, bedeutet mir mehr, als ich in Worte fassen kann. Unsere Freundschaft hat mich in Momenten getragen, in denen ich mich verloren fühlte, und ich hoffe, dass ich dir auf dieser Reise dasselbe geben konnte. Auch wenn ich nicht körperlich bei dir bin, so bin ich doch in Gedanken immer an deiner Seite. Du bist gut genug, Jill. Du hast so viel zu erzählen, und die Welt wartet darauf, deine Geschichten zu hören.
Ich wünsche dir, dass du den Mut findest, diesen Traum zu leben. Du hast bereits den schwersten Schritt getan, indem du aufgebrochen bist. Jetzt ist es an der Zeit, weiterzugehen, ohne zurückzuschauen. Vertraue darauf, dass das Leben dir den Weg zeigt, und dass du jede Herausforderung meistern wirst.
Danke, dass du meine Freundin bist. Danke, dass du mich daran erinnert hast, wie wichtig es ist, sich selbst treu zu bleiben. Ich hoffe, dass du in dir den Frieden findest, den du suchst, und dass du nie aufhörst, deinen Träumen zu folgen.
Mit all meiner Liebe,
Frieda“
Tränen liefen über Jills Wangen, als sie den Brief zu Ende las. Sie hielt ihn fest in der Hand und presste ihn gegen die Stelle, an der ihr Herz lag. Die Worte ihrer Freundin hallten in ihrem Kopf nach. Sie spürte auf einmal eine unfassbar tiefe Dankbarkeit, die sich warm und angenehm in ihrer Brust ausbreitete.
Jill faltete den Brief wieder zusammen und legte ihn behutsam auf den Fahrersitz. Dann ging sie den schmalen Pfad entlang, der sie hinunter zum Strand führte. Sie schlüpfte aus ihren Schuhen, fühlte den warmen Sand unter ihren nackten Füßen und hörte das Rauschen der sanft brechenden Wellen. Ganz in der Nähe entdeckte sie eine Seebrücke und fühlte sofort, wie etwas sie in diese Richtung zog. Der hölzerne Steg erstreckte sich weit ins Meer hinein, so als würde er sie einladen, noch ein Stück weiter zu gehen. Noch tiefer in das Abenteuer, das vor ihr lag.
Langsam ging sie die Brücke entlang, Schritt für Schritt, bis sie am Ende ankam und nur noch Wasser vor sich sah. Die Wellen glitzerten im Licht der hochstehenden Sonne, und eine leichte Brise umspielte ihren Körper. Jill lehnte sich an das Geländer und ließ den Blick über das weite Meer schweifen. Hier, am Rand der Welt, wie es ihr schien, fühlte sie sich endlich … frei.
Frei von den Ängsten und Zweifeln, die sie so lange begleitet hatten. Frei von den Erwartungen anderer. Frei davon, weiter ein Leben zu leben, das sie nicht glücklich machte.
Plötzlich fiel ihr Blick auf etwas, das sie fast übersehen hätte. Direkt neben ihren Füßen lag ein Flyer, auf dem bunt und mit kräftigen Buchstaben ein einziges Wort stand. Er sah anders aus als das Plakat, das sie in der Stadt gesehen hatte. Aber das Wort war das gleiche: Ostsee.
Jills Mundwinkel zogen sich nach oben. Dieses Wort, das sie zuerst auf dem Plakat gesehen hatte, hatte alles verändert. Es hatte etwas in ihr wachgerufen, was sie lange verborgen gehalten hatte – die Sehnsucht nach mehr, nach einem Leben, das nicht nur aus Routine und Pflichterfüllung bestand. Sondern aus Träumen und Abenteuern. Und jetzt, am Ende ihrer Reise, sah sie es wieder. Ein Zeichen, dass sie den richtigen Weg eingeschlagen hatte.
Jill spürte, wie die Tränen erneut in ihr aufstiegen. Sie wusste, dass sie ihren Traum nicht länger ignorieren konnte. Es war Zeit, ihn zu leben, ihn mit jeder Faser ihres Seins zu verfolgen.
Mit einem tiefen Atemzug, der die frische, salzige Luft in ihre Lungen sog, schloss Jill für einen Moment die Augen und ließ die Tränen über ihre Wangen laufen. In diesem Moment, an diesem Ort, hier an der Ostsee, traf sie ihre endgültige Entscheidung.
Sie würde ihren Job kündigen, würde ihre Tage nicht länger in einem Büro verbringen, das sie innerlich leer zurückließ. Stattdessen würde sie sich dem Schreiben widmen, ihren Geschichten und Charakteren, die in ihrem Kopf lebendig waren und darauf warteten, aufs Papier gebracht zu werden. Denn wenn sie eines von dieser Reise gelernt hatte, dann dass das Leben zu kurz war, um nicht seine Träume zu verfolgen.
Jill öffnete die Augen und sah auf das weite Blau hinaus zum Horizont, wo Himmel und Meer aufeinandertrafen. Sie fühlte sich endlich bereit, den Schritt zu tun, der sie so lange zurückgehalten hatte.
„Ich werde es tun“, flüsterte sie in den Wind, der ihre Worte davontrug. „Ich werde schreiben.“
Mit diesem Entschluss in ihrem Herzen und dem Blick auf die Ostsee, die in diesem Moment so ruhig und friedlich vor ihr lag, fühlte sie sich stärker und entschlossener als je zuvor. Ein neues Kapitel in ihrem Leben hatte begonnen.
Und diesmal würde sie es selbst schreiben.