Jill hatte nie gedacht, dass Alleinsein so schwer sein könnte. Nachdem Frieda in der Pension geblieben ist, fühlt sich Jill zerrissen und unsicher, ob sie den richtigen Weg eingeschlagen hat. Ihre Gedanken kreisen um Zweifel und Ängste, während sich ein Unwetter zusammenbraut. Eine unerwartete Begegnung bringt eine neue Wendung in ihre Reise. Wird Jill die Herausforderung meistern und ihren Weg finden?
Write our own Story - Gemeinsam mit unserer Community schreiben wir in fünf Wochen fünf Kapitel, die durch eure Abstimmungen bei Instagram entstehen. Begleite Jill auf ihrer Reise zu sich selbst und lass dich von ihrer Geschichte inspirieren.
Kapitel 4 - Dunkelheit
Alleinsein.
Jill hatte nie gedacht, dass es ihr jemals so schwer fallen würde, allein zu sein.
Nachdem Frieda entschieden hatte, sie nicht mehr zu begleiten, hatte Jill versucht, es ihr wieder und wieder auszureden. Die ganze Fahrt zur Pension Zum Funkenflug hatte sie Frieda gebeten, ihre Entscheidung noch einmal zu überdenken. Erst als Jill gemerkt hatte, dass vielleicht noch mehr dahinter stecken könnte, hatte sie aufgehört.
Sie wusste, dass Frieda Recht hatte; dass es Jills Reise war und dass sie lernen musste, diese auf eigene Faust zu beenden. Aber vielleicht – und das realisierte Jill erst, als sie wieder allein hinter dem Lenkrad ihres alten Golfs durch die Dämmerung fuhr – vielleicht hatte Frieda ihr mit ihrer Entscheidung auch sagen wollen, dass für sie das Abenteuer bereits groß genug gewesen war.
Die lange Fahrt in der ersten Nacht. Die tiefen, wunderbaren Gespräche über Friedas bewegendes Leben. Der Aufbruch zur vermeindlichen Schatzsuche. All das war bereits ein Abenteuer, das die beiden Freundinnen gemeinsam erleben durften. Jetzt folgte der Teil der Reise, der Jill ganz allein gehören sollte. Noch nie in ihrem Leben hatte Jill sich so zerissen gefühlt, so allein, so ... fremd in ihrem eigenen Leben. Sie wollte, dass sich etwas veränderte. Gleichzeitig wollte sie aber nichts lieber, als dass alles so blieb, wie es war.
Die Landstraße zog sich wie ein endloses Band vor Jill hin. Der Himmel, der anfangs nur ein paar Regentropfen versprochen hatte, begann sich zunehmend zu verdunkeln. Es war fast, als hätte die Natur ebenfalls beschlossen, ihre Reise in ein neues Leben in Frage zu stellen. Die ersten Regentropfen fielen auf die Windschutzscheibe und es dauerte nicht lange, dass sich der leichte Nieselregen in ein heftiges Unwetter verwandelte. Der Regen prasselte so stark auf das Auto, dass die Scheibenwischer kaum mithalten konnten, und der Wind rüttelte bedrohlich an der Karosserie ihres Autos.
Jill spürte, wie die Unsicherheit in ihr wuchs. Mit jedem Kilometer, den sie zurücklegte, fragte sie sich, ob sie die richtige Entscheidung getroffen hatte, allein durch dieses Unwetter zu fahren, das nicht nur Regen für sie bedeuten würde. Seitdem sie auf ihrem Instagram Account gepostet hatte, dass sie an einem Schreibwettbewerb teilnahm, traute sie sich nicht mehr, auf ihr Handy zu schauen. Sie wusste, dass es leichtsinnig war, ihren Traum öffentlich zu machen, gerade, da sie sich ihn selbst erst vor kurzem eingestanden hatte.
Aber gerade deshalb wollte sie, dass alle in ihrem Umfeld davon wussten. Sie wollte sich nicht mehr verstecken und wollte – bevor sie den Mut verlor – allen zeigen, dass sie Autorin sein wollte. Mit dem Unwetter, das sie mit ihrem Posting heraufbeschwor, konnte sie sich jetzt jedoch nicht beschäftigen. Zu erst musste sie ihr Auto unterstellen und einen Ort finden, wo sie das Gewitter ausharren konnte. Der Himmel war fast vollständig schwarz, nur gelegentlich durchzuckte ein Blitz die Dunkelheit und beleuchtete die regennassen Straßen. Als der Regen immer stärker wurde und die Sicht nahezu unmöglich machte, entdeckte Jill eine Raststätte.
Der Rastplatz wirkte wie ein sicherer Hafen inmitten des Sturms. Jill stellte den Motor ab, lehnte sich in ihrem Sitz zurück und atmete tief durch. Sie konnte das Trommeln des Regens auf dem Dach des Autos hören, das Rauschen des Windes, das Heulen des Sturms – alles schien zusammenzukommen, um ihre Entschlossenheit auf die Probe zu stellen. Ist es wirklich so schlau gewesen, gleich allen zu erzählen, dass sie schreiben wollte?
Plötzlich sah Jill das Display ihres Handy auf dem Beifahrersitz aufleuchten. Sie wollte nicht nachgucken, weil sie ahnte, welche Art von Nachrichten sie erhalten würde. Doch ihr Handy blinkte wieder und wieder auf und machte es ihr unmöglich, nicht nachzuschauen. Sie griff nach ihrem Handy und las die zahlreichen Nachrichten.
Die Reaktionen auf ihren Entschluss, Schriftstellerin zu werden, waren gemischt. Kaum einer ermutigte sie, ihren Traum zu verfolgen. Die meisten Nachrichten, die sie überflog, waren skeptisch und warnten sie vor den Risiken.
Es ist ein harter Weg, Jill. Bist du dir sicher, dass du das durchziehen kannst?
Denk daran, wie sicher dein Job ist. Du hast eine Karriere aufgebaut. Willst du das wirklich aufgeben?
Autorin? Es gibt doch schon so viele!
Jills Herz zog sich schmerzhaft zusammen, während sich ihre Augen mit Tränen füllten. Was hatte sie erwartet? Dass sich die Leute in ihrem Umfeld freuten, dass sie so eine drastische Entscheidung traf? Sie schüttelte sich und wischte sich hastig über die Augen. Dies war nicht der richtige Zeitpunkt, um die Nachrichten zu lesen. Nicht inmitten dieses Unwetters, dass sie immer mehr erdrückte.
Sie lief durch den Regen und erreichte den Eingang der Raststätte. Eine Welle der Wärme empfing sie und auch der Duft nach Gebäck und Kaffee hellte ihr Stimmung zumindest ein kleines Bisschen auf. Sie schüttelte den Regen von ihrer Jacke, bestellte einen heißen Tee und setzte sich an einen der freien Tische, von denen sie den Parkplatz überblicken konnte. Der Lärm des Unwetters wurde hier drinnen gedämpft, und die sanfte Musik, die aus den Lautsprechern drang, schuf eine beruhigende Atmosphäre.
Jill nahm einen Schluck von ihrem Tee und schloss die Augen. Ihre Gedanken wirbelten genauso wild wie der Sturm draußen. Sie dachte an Frieda, die sie zurückgelassen hatte. Sie dachte an die Reise, die sie begonnen, an die Entscheidungen, die sie getroffen hatte, und daran, was noch vor ihr lag. Doch vor allem dachte sie an den Traum, der sie überhaupt erst auf diesen Weg geführt hatte: das Schreiben.
Trotz der negativen Meinungen und dem unsicheren Weg, der vor ihr lag, wollte sie mutig sein und ihren Traum verwirklichen. Frieda hatte das Leuchten in ihren Augen gesehen, als sie vom Schreiben erzählt hatte. Und auch sie selbst spürte es, immer wenn sie daran dachte, ihre Finger über die Tastatur ihres Laptops fliegen zu lassen oder den Stift über das Papier. Sie wusste einfach, dass sie schreiben wollte. Dass das Schreiben ihr Herz höher schlagen ließ.
Gerade als sie in ihren Gedanken versank, spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter.
„Úna? “, fragte Jill ungläubig.
Ùna, ihre Freundin aus Unizeiten, die sie seit Jahren nicht mehr gesehen hatte. Sie sah fast genauso aus wie früher, nur dass sie ihre Haare jetzt länger trug.
„Jill! “, rief Úna überrascht und lächelte breit. „Du bist es wirklich, das gibt’s doch nicht! Was machst du hier? “
Jill erwiderte ihr Grinsen. „Das selbe könnte ich dich fragen. “
„Ich bin auf dem Weg zu einem Gig in Kiel, aber bei dem Unwetter musste ich eine Pause einlegen. “ Úna deutete auf die Gitarre, die sie bei sich trug. „Und du? Was führt dich hierher? Was für ein Zufall, dass wir uns hier treffen! “
Jill konnte ihr Kopfschütteln nicht verbergen. Zufälle. Sie hatte bereits so viele eigenartige Zufälle auf ihrer Reise erlebt, dass sie allmählich daran zweifelte, ob sie alle wirklich so zufällig gewesen sind. Jill erzählte von ihrer spontanen Entscheidung, an die Ostsee zu fahren, um ihrem Leben eine neue Richtung zu geben. Sie sprach über ihre Unsicherheit, ihre Zweifel und über die Sehnsucht, die sie plötzlich überfallen hatte, als sie das Werbeplakat gesehen hatte. Sie wusste nicht, warum, aber es fühlte sich richtig an, Ùna von allem zu erzählen. Vielleicht, weil sie sie so lange nicht gesehen hatte. Oder weil Ùnas Augen bei jedem von Jills Worten immer größer wurden.
„Wow, Jill. Das klingt nach einem großen Schritt. Aber ich kann das verstehen. Manchmal muss man einfach alles hinter sich lassen und dem folgen, was das Herz einem sagt. “
„Ja “, stimmte Jill zu, „aber es ist nicht so einfach, wie ich dachte. Jetzt, wo ich unterwegs bin, frage ich mich, ob es nicht doch zu überstürzt war. “
Ùna nickte verständnisvoll. „Ich kenne das Gefühl. Als ich mich entschieden habe, Musikerin zu werden und meinen Job hinzuschmeißen, dachte ich auch, ich sei verrückt. Es gab so viele Leute, die mir gesagt haben, dass es ein Fehler ist und dass ich es nicht schaffen werde. Und glaub mir, es war nicht immer einfach. Aber ich bereue es keine Sekunde. “
Jill lächelte. „Du hattest immer schon diesen Traum, und du hast ihn verfolgt. Das bewundere ich an dir, Ùna. “
„Und du hattest immer das Talent, Geschichten zu erzählen “, entgegnete diese ernst. „Wenn das dein Traum ist, dann darfst du dich nicht von den Zweifeln anderer aufhalten lassen, die ihre Ängst auf dich projizieren. Natürlich kannst du scheitern, aber wenn du es gar nicht erst versuchst, wirst du nie erfahren, ob es vielleicht doch klappen könnte. Ich spiele dieses Wochenende auf meiner bisher größten Bühne und verdammt, ich habe solche Angst davor. Aber wenn ich nicht Musik machen würde, wäre ich unfassbar unglücklich. Und ich weiß, dass mein Leben zu kurz ist, um unglücklich zu sein. “
Jills Herz wurde auf einmal von einer Wärme durchflutet, die sich bis in ihre Fingerspitzen ausbreitete. Doch das Gespräch der beiden wurde plötzlich gestört. Die Lichter in der Raststätte flackerten und gingen schließlich aus.
Die Raststätte lag nun in völliger Dunkelheit.
Einige Gäste murrten und suchten hastig nach Taschenlampen oder ihren Handys, die dem Raum etwas Licht spenden konnten. Jill spürte, wie die Unruhe wieder in ihr wieder aufkeimte. Die Dunkelheit, das Unwetter draußen, all das schien sie zu erdrücken.
„Keine Sorge, Jill “, sagte Ùna plötzlich. „Wir sitzen das hier aus, und dann setzen wir unseren Weg fort. Du deinen und ich meinen. “
Jill nickte. Es war, als würden all ihre Ängste und Zweifel in diesem Moment zusammenkommen, um sie zu überwältigen. Aber sie wusste, dass sie nicht aufgeben durfte. Nicht jetzt.
Die Stunden zogen sich endlos hin. Jill und Ùna unterhielten sich weiter im schwachen Licht der Handys, tauschten Erinnerungen aus und sprachen über ihre Träume. Jill fühlte sich, als würde sie sich selbst ein Stück näher kommen, als würde das Gespräch mit Ùna ihr helfen, die Dinge klarer zu sehen.
Als das Unwetter draußen allmählich nachließ und das erste schwache Licht des Morgens durch die Fenster drang, entschied Jill, dass es Zeit war, weiterzufahren. Ùna bot ihr an, sie ein Stück zu begleiten, doch Jill wusste, dass sie diesen Teil ihrer Reise allein fortsetzen musste.
Sie verabschiedeten sich und Ùna drückte Jill fest an sich. „Gib nicht auf. Folge deinem Herzen, und du wirst den richtigen Weg finden. “
Jill sah ihr nach, wie sie in den ersten Sonnenstrahlen verschwand, bevor sie selbst in ihr Auto stieg und den Motor startete. Sie fühlte sich stärker, entschlossener, als sie die Raststätte hinter sich ließ und wieder auf die Straße fuhr. Die Dunkelheit war gewichen, und obwohl der Himmel noch immer von Wolken bedeckt war, schien es, als würde sich ein neuer Weg vor ihr auftun.
Das Leben war voller Unsicherheiten, und es gab keine Garantie für Erfolg. Aber das bedeutete nicht, dass sie es nicht versuchen sollte. Sie musste es sogar versuchen, weil es das war, was sie wirklich wollte. Die Ampel vor Jill sprang auf Grün, und Jill trat aufs Gas. Es fiel ihr plötzlich nicht mehr so schwer wie vor ein paar Tagen, als sie das geheimnisvolle Plakat gebraucht hatte, um weiterzufahren. Der Weg vor ihr war noch lang, und es würden noch viele Herausforderungen auf sie warten. Aber sie wusste jetzt, dass sie diesen Weg gehen musste, um herauszufinden, wer sie wirklich war und wozu sie in der Lage war.
Mit festem Griff um das Lenkrad und einem klaren Ziel vor Augen setzte Jill ihre Reise fort. Die Wolken begannen sich zu lichten, und am Horizont konnte sie ein schwaches Band blauen Himmels erkennen. Es war, als würde sich der Sturm nicht nur draußen, sondern auch in ihrem Inneren allmählich legen.
Jill lächelte. Sie wusste, dass die Reise noch nicht zu Ende war, aber sie war bereit, jeden Schritt davon zu gehen, in dem Wissen, dass sie auf dem richtigen Weg war – dem Weg zu sich selbst.
Und zu ihrem Traum.