Als Jill von einem sagenumwobenen Schatz in der Ostsee hört, ahnt sie noch nicht, dass der Weg dorthin anders verlaufen wird als geplant. Plötzlich findet sie sich vor der bisher größten Herausforderung ihrer Reise wieder und spürt, dass ihr neues Ziel weit mehr ist als nur eine Suche nach Gold und Münzen ... Entscheidungen müssen getroffen werden – und am Ende wird nichts mehr so sein wie zuvor. Nicht einmal Jill selbst.
Write our own Story - Gemeinsam mit unserer Community schreiben wir in fünf Wochen fünf Kapitel, die durch eure Abstimmungen bei Instagram entstehen. Begleite Jill auf ihrer Reise zu sich selbst und lass dich von ihrer Geschichte inspirieren.
Welcher Schatz möchte von dir entdeckt werden?
Kapitel 3 - Leuchten
„Einen echten Schatz?!“, fragte Jill entgeistert und verschluckte sich beinahe an ihrem Tee.
Frieda und sie waren trotz der kurzen Nacht früh aufgestanden und damit die ersten Gäste am Frühstücksbuffet. Der Speisesaal der Pension zum Funkenflug befand sich im Erdgeschoss und bot einen atemberaubenden Blick auf die mit Tau bedeckten Felder. Diese idyllische Aussicht nahm Jill jedoch schon seit einer Weile nicht mehr wahr. Gebannt lauschte sie Friedas Erzählungen, die von alten Mythen und Legenden rund um die Ostsee handelten, und die jetzt eine noch spannendere Richtung einnahmen.
„Es soll hier wirklich einen Schatz geben?“, wiederholte sie ungläubig.
„Nun ja, es gibt eine Sage, die von einer untergegangenen Stadt handelt. Ob es da wahrhaftig einen Schatz gibt, weiß ich nicht.“
Jill kicherte. „Atlantis?“
„Nicht Atlantis, Kindchen. Veret ... Oder nein, Vinet. Oder ... Moment mal, wie hieß die Stadt noch gleich.“
„Vineta“, meldete sich plötzlich ein Mann vom Nachbartisch. Jill hatte gar nicht mitbekommen, dass er den Raum betreten, geschweige denn sich neben die beiden gesetzt hatte. „Entschuldigen Sie bitte, dass ich mich einmische, aber ich habe zufällig gehört, worüber Sie reden. Vineta heißt die Stadt. Doch wo sie wirklich liegen soll, weiß niemand.“
„Genau, so hieß sie!“ Frieda grinste erst den Mann, dann Jill triumphierend an.
Jill erwiderte das Grinsen. „Also wird unsere Abenteuerreise jetzt etwa eine Schatzsuche?“
Wenn das so wäre, könnte Jill noch mehr Ideen für ihre Geschichten sammeln. Vielleicht ließe sich ja sogar etwas in das Buch integrieren, dass sie über Frieda schrieb.
„Meinst du nicht, dass ich etwas zu alt für eine Schatzsuche bin, Kindchen?“ Frieda machte eine wegwerfende Handbewegung und biss von ihrem Marmeladenbrötchen ab.
„Wenn wir sowieso an die Ostsee fahren, können wir es doch versuchen. Wer weiß, was wir finden! Was hältst du von dem Ort Koserow?“, fragte Jill und hielt Frieda ihr Smartphone unter die Nase. Sie hatte nach der untergegangenen Stadt Vineta gegoogelt und gesehen, dass dies einer der möglichen Orte war, an dem die Stadt liegen könnte.
„Nun ja, Sie könnten es dort versuchen. Ich habe aber auch gehört, dass es in Timmendorfer Strand Anzeichen für die Stadt geben soll. Manchmal werden dort mittelalterliche Münzen angespült“, murmelte der Mann und schaute wieder auf seine Zeitung.
„Timmendorfer Strand. Was meinst du, Frieda? Ist das unser Ostsee-Ziel?“
Ihre Freundin schaute noch einmal zu dem Fremden, ehe sie ihre Brille richtete und lächelte. „Na schön, dann mal los.“
Noch bevor sie Timmendorfer Strand erreichten, erspähte Jill bereits das Meer. Seit einer Stunde fuhren sie an Feldern vorbei, die ab und zu den Blick auf das tiefe Blau der Ostsee freigaben.
Mit jedem Meter, den sie sich ihrem Ziel näherten, wuchs Jills Vorfreude. Und mit jedem Meter, den sie zwischen sich und ihr Zuhause brachte, verstärkte sich das nagende Gefühl in ihr, dass diese Reise weitaus größer war, als sie zunächst gedacht hatte.
Schon die vergangene Nacht hatte Jill aufgewühlt. Aufgewühlt, aber auf genau die Art und Weise, die Jill gebraucht hatte. Ein Weckruf. Eine Erinnerung an ihre eigenen Träume, die unweigerlich mit denen ihrer Freundin Frieda verbunden waren.
„Geht es dir gut, mein Kind?“, fragte Frieda und kurbelte das Fenster ein Stück nach oben. Jill hatte diese Frage bereits vier Mal gehört, seit sie an diesem sonnigen Vormittag aus der Pension aufgebrochen waren.
Sie schnaubte amüsiert. „Immer noch: Ja. Geht es dir denn gut?“
„Du bist wieder so nachdenklich“, erwiderte Frieda und ließ Jill nicht aus den Augen. „Ist es wegen des Schatzes?“
Jill lachte auf. „Ja, der geistert schon den ganzen Morgen in meinem Kopf herum. Aber tatsächlich ist es etwas anderes, worüber ich nachdenke. Ich habe ... Nun ja, ich überlege zu kündigen. Und bevor du mich davon abhältst, lass' mich erklären, warum ich denke, dass das eine leichtsinnige, aber trotzdem gute Entscheidung ist.“
„Wer hat denn etwas von ausreden gesagt? Haben wir nicht gestern über Entscheidungen gesprochen und wie wichtig es ist, diese zu treffen?“
Jill schaute zu Frieda herüber und grinste verschmitzt. „Ja, haben wir. Also keine Erklärung?“
„Du kannst mir erklären, was du möchtest. Aber du musst wissen, dass du niemandem außer dir selbst Rechenschaft schuldig bist.“
„Na gut“, sagte Jill und zuckte mit den Schultern. „Weißt du was, ich erkläre es dir trotzdem. Mein Job nimmt mich so sehr ein, dass ich gar nicht mehr über etwas anderes nachdenken kann. Ich möchte endlich wieder kreativ sein und das tun, was ich liebe. Seit gestern weiß ich, dass ich schreiben möchte. Ich könnte erstmal in einem Café jobben, um die Miete zu bezahlen, und die restliche Zeit nutzen, um meinem Traum zu folgen. Ich spüre einfach, dass ich nicht mehr damit warten möchte, all die Geschichten aus meinem Kopf auf das Papier zu bringen. Ist die Idee gut? Oder drehe ich durch?“
„Ich finde, die Idee ist perfekt. Wenn du über das Schreiben sprichst, sehe ich immer ein Leuchten in deinen Augen. Das ist doch schon Grund genug“, sagte Frieda und tätschelte Jills Hand.
„Aber was ist, wenn keiner meine Bücher lesen will? Dann mache ich mich zur Lachnummer und habe die Chance vertan, Karriere zu machen.“
Jill wusste nicht so recht, warum ihre Gedanken auf einmal diese gegensätzliche Richtung eingenommen hatten. In ihrem Herzen spürte sie, dass sie dem Ruf folgen und das tun wollte, was sie endlich nach all der Zeit wiederentdeckt hatte: das Schreiben.
Ihr Kopf jedoch ... Ihr Kopf schrie laut, dass sie alles so lassen sollte, wie es war. Denn so war sie wenigstens sicher. Wenn sie nichts veränderte, dann ... Nun ja, dann veränderte sich eben auch nichts. Besonders nicht ins Schlechte.
„Erst einmal: Ist das denn die Karriere, die du verfolgen möchtest?“, fragte Frieda und traf damit genau ins Schwarze.
„Nicht wirklich.“ Jill seufzte.
„Ich bin mir sicher, dass du Menschen mit deinen Geschichten erreichen wirst, wenn du aus deinem Herzen heraus schreibst. Du wirst nie den Geschmack aller treffen und das sollst du auch überhaupt nicht. Hast du schon einmal Sanddorneis probiert?“ Frieda zeigte plötzlich auf ein Schild, das einige Meter vor den beiden am Straßenrand aufgetaucht war und wechselte damit blitzschnell das Thema.
Jill setzte den Blinker und hielt neben der Eisdiele auf einem kleinen, gut gefüllten Parkplatz an. Die Eisdiele stand inmitten von Rapsfeldern und obwohl Jill gedacht hatte, dass keine Menschenseele die kleine Bude finden würde, hatte die junge Frau, die das Eis verkaufte, alle Hände voll zu tun.
Nachdem sich die beiden zwei Sanddorneis gekauft haben und sich auf eine Bank in den Schatten setzten, griff Frieda auf einmal das Gespräch aus dem Auto wieder auf.
„Obwohl Sanddorneis meiner Meinung nach die leckerste Eissorte ist, gibt es Menschen, die einfach kein Sanddorn mögen.“
Jill lachte darüber, dass Frieda ihr mithilfe der wie aus dem Nichts aufgetauchten Eisdiele etwas fürs Leben erklärte. Sie probierte das Eis und verzog das Gesicht. Frieda hatte Recht. Es gab Menschen – so wie Jill – die einfach kein Sanddorn mochten. Und dass obwohl es Friedas Lieblingssorte war.
„Du musst überhaupt nicht allen gefallen “, fuhr Frieda fort. „Wenn du eines deiner Bücher veröffentlichst, wird es jemandes Lieblingsbuch, da bin ich mir sicher. Wenn du es nicht veröffentlichst, wird aber niemand davon erfahren. Dann wirst du zwar keine Kritik bekommen, aber du wirst auch niemals die Stimme deines Herzens sprechen lassen.“
Jill schüttelte über Friedas Lebensweisheit liebevoll den Kopf.
„Darf ich mir das, was du da gerade gesagt hast, aufschreiben?“, fragte sie und kramte in ihrer Tasche nach ihrem Schreib-Notizblock.
Frieda war von Natur aus bereits eine so spannende Frau, dass es Jill nicht schwerfallen würde, ein ganzes Buch über sie zu schreiben. Aber dafür müsste sie erst einmal ihren Notizblock finden. Sie schaute in ihre Tasche und hielt den Atem an.
„Frieda ... Hast du mein kleines Büchlein eingesteckt?“
Ihre Freundin schüttelte den Kopf.
„Mist! Wir müssen wieder umdrehen.“
Obwohl der Tag so vieles versprochen hatte, sank Jills Stimmung mit einem Mal in den Keller. Wenn sie jetzt die ganze Strecke wieder zurück zur Pension fuhren, würden sie erst heute Abend in Timmendorfer Strand ankommen.
Jill war bereits aufgestanden, als sie zu ihrer Freundin schaute. Frieda zögerte, so als würde sie nun etwas beschäftigen.
„Alles in Ordnung? Wir müssten es heute noch an unser Ziel schaffen“, sagte Jill und hielt Frieda ihre Hand hin, um ihr beim Aufstehen zu helfen.
„Ich werde in der Pension bleiben, mein Kindchen. Ich habe nochmal über diese Reise nachgedacht. Das ist dein Abenteuer, nicht meines.“
Jill schüttelte verwirrt den Kopf. Was meinte Frieda damit? Wann hatte sie darüber nachgedacht? Und vor allem: Warum wollte sie so plötzlich nicht mehr mitkommen? Gerade eben war doch noch alles gut.
„Aber du hast gesagt, dass du mich begleitest. Das ist unsere Reise, nicht meine!“
Jill wusste selbst nicht, warum sie so aufgebracht war. Dieses Abenteuer sollte beiden gehören, nicht ihr allein. Sie hatte doch gerade erst begonnen, Friedas Geschichte aufzuschreiben und hatte noch so viele Ideen für das Buch über ihre Freundin.
„Nein.“
Das war Friedas Antwort. Keine Erklärung. Kein wirklicher Grund. Ja, nicht einmal eine Entschuldigung. Jill schwirrte der Kopf. Ihre Gefühle spielten verrückt. Sie fühlte sich wütend, war gleichzeitig enttäuscht von ihrer Freundin. Und irgendwie fühlte sie sich auch im Stich gelassen.
„Bitte lass mich jetzt nicht allein“, hauchte Jill und schluchzte plötzlich auf.
Frieda stellte die Eisbecher zur Seite und griff nach Jills Händen. „Ich werde dich niemals alleine lassen. Dieses Abenteuer sollte deines sein. Deines ganz allein. Und wenn du zurück nach Hause fährst, werde ich auf dem Weg in der Pension auf dich warten.“
„Aber Frieda, ich ... Ich weiß nicht, ob ich überhaupt zurück nach Hause fahren werde. Ich brauche Abstand zu allem. Zu allem außer zu dir. Ich schaffe das nicht ohne dich. Erst habe ich gedacht, dass dies einfach nur ein normaler Ausflug wird. Dass wir uns die Ostsee anschauen und wieder nach Hause fahren. Aber die Reise ist viel größer, als ich dachte. Was ist, wenn ich den Weg nicht finde? Wenn ich wieder an einer Kreuzung stehe, bei der ich nicht weiß, wo ich abbiegen soll.“
„Die Entscheidung an der Ampel war so klein, mein Schatz. Die wirklich große Entscheidung hast du ganz allein getroffen. Und zwar, dass du überhaupt erst losgefahren bist. Du brauchst niemanden, der sagt, wie und wo du abbiegst.“
Jill seufzte. Ein Seufzen, das lange überfällig und deutlich hörbar war. Sie wusste, dass Frieda Recht hatte. Und doch fühlte es sich beängstigend an, den Rest der Reise alleine zu bewältigen.
Jill wusste, dass diese Reise noch mehr Veränderung für sie bereithielt. Und dass sie am Ende an ihrem Ziel etwas finden würde.
Vielleicht den Schatz, von dem Frieda erzählt hatte.
Und vielleicht auch ein kleines Bisschen mehr sich selbst.